Muss Genuss auch immer eine Sünde sein? Oder darf es auch einfach mal beim Genuss ohne Sünde bleiben? Woher kommt dieses Tandem von Genuss und Sünde und lässt sich diese Vorstellung überwinden oder ist sie zu tief bei uns allen verankert?
Zwischendurch überkommt mich die Lust auf zwei Kugeln feines, frisch zubereitetes Glace am liebsten in einer Waffel. Zwar schaffe ich es selten dieses Eis ohne Sauerei zu essen, ich gebe zu im Karton-Körbli wäre dies einfacher, aber ich mag den Geschmack der Waffel und Abfall wird dadurch auch noch weniger erzeugt. Um meine Gelüste zu stillen, stehe ich darum ab und zu in einer Schlange vor dem Gelati-Laden. Während der Wartezeit versuche ich bereits mit Hilfe von einer 'Negativ-Selektion' wie z.B. welche Eissorten hatte ich schon, welche Sorten passen gut zueinander (gibt es wirklich Eissorten die nicht zueinander passen?) usw. herauszufinden was ich gleich bestellen will. Kurz vor dem Ziel werde ich von dem Gespräch zwischen der Kundin vor mir und der Eisverkäuferin abgelenkt. Die Kundin vor mir will nämlich ganz genau wissen in welchen Eissorten kein Zucker oder möglichst wenig Zucker stecken. Die Verkäuferin berät sie sehr freundlich und erklärt, dass es sich hier um Eiscreme handle und jede Sorte Zucker enthielte. Die Kundin schien jedoch für ihre Auswahl noch mehr Informationen zu benötigen. Irgendwann wurde es der Eisverkäuferin zu viel und sie sagte ihr, dass es sich hier um Glace handle um eine Süssigkeit die für ihren Geschmack nun mal Zucker benötige und dass sie sich, falls sie etwas ohne Zucker suche, vielleicht für eine andere Süssigkeit entscheiden müsse. Die Kundin hat sich dann für Frucht-Sorbet entschieden, Fruchtzucker schien sie für weniger dramatisch zu halten. Kurz danach stehe ich also vor der Glace-Auswahl, gefühlt sind es mindestens 20 Sorten und alle sehen super lecker aus, und ich bin jetzt doch total überfordert welche Wahl ich treffen soll und bestelle dann fix aus dem Bauch heraus zwei Kugeln (kein Sorbet).
Ich geniesse meine zwei Kugeln Glace, ganz ohne Reue und ohne sündhafte Gedanken, in der Sonne auf einem Bänkli und denke über das vorhin gehörte Gespräch nach. Warum fällt es vielen Menschen heute so schwer sich etwas gutes zu 'gönnen'? Warum sich seine Pause und das Glace von Gedanken wie der Anzahl Kalorien, Zuckergehalt usw. verderben lassen? Oder das Eis nur an 'cheat-days' zu geniessen? Ich selber esse ebenfalls nur wenig 'direkten' Zucker. Ich mag dieses übersüsste nicht. Weder zum Dessert noch im Kaffe oder einem anderen Getränk. Aber wenn ich mir schon die Zeit nehme für ein Glace anzustehen, dieses zu bezahlen um es anschliessend in einer Pause in der Sonne zu geniessen, will ich nur an die herrliche Geschmackexplosion in meinem Mund denken und den Moment einfach geniessen. Sozusagen mein persönlicher Glace-Zen-Moment! Mein Kopf macht bewusst Pause und denkt maximal an: I scream, you scream we all scream for Ice Cream. Vielleicht sollten wir das alle viel öfters tun? Kopf aus Geschmack an und Sendepause.
Klebrige Grüsse
Eure Madame Alltag
Zürich, geschrieben im Oktober 2022