Zürich ist bekannt für seine Diversität. Ich denke mir oft, hier gibt es irgendwie nichts was es nicht gibt. So viele unterschiedliche Menschen und Kulturen. Das 'Multi-Kulti-Essensangebot', die verschiedenen Styles und Gruppierungen der Leute, von sehr exklusiv ja sagen wir mal 'edel-dekadent' bis zu sehr alternativ ist wirklich alles vorhanden. Und meistens, nicht immer aber meistens ist es ein sehr friedliches Miteinander hier in unserer Stadt.
Diversität betrifft nicht nur das Leben ausserhalb unserer Wohnungen, sondern augenscheinlich auch das Leben in unseren Vierwänden. Das Wort 'augenscheinlich' ist hier übrigens sehr bewusst gewählt, denn einer unserer unzähligen, anonymen Nachbarn sehe ich nur im Adamskostüm. Jetzt denkt ihr vielleicht ich hätte mich verschrieben? Nein, nein, mein Nachbar vis à vis, also auf der anderen Seite des Innenhofs, sehe ich nur nackt. Und wenn ich nackt schreibe, dann meine ich nackt. Ganz ohne störendes Stoffteil an seinem Körper. Nada, nix, nie. Seit nunmehr 10 Jahren 'kenne' ich Naked Man. Besonders in der dunkeln Jahreszeit ist er gut sichtbar. Er scheint in seiner Wohnung nie Kleider zu tragen, egal welcher Tätigkeit er nachgeht. Denn: er kocht nackt, er bügelt nackt, er schaut nackt TV, er sonnt sich nackt. Wobei er sich für's Sonnen neuerdings einen Paravan auf seinen Balkon gestellt hat. Wir mögen Naked Man. Er scheint ein friedlicher Zeitgenosse zu sein und hey, es ist auch völlig legitim in seinen eigenen Vierwänden alles nackt zu machen. Null Problem. Nur manchmal, wenn ich ihn von weitem beim Kochen oder beim Bügeln sehe, hoffe ich inständig für ihn, dass er sich da nirgends verbrennt, dies dürfte sonst eher unangenehm werden.
Naked Man ist mittlerweile bekannt im Quartier. Das heisst bei allen Nachbarn die wie ich freie Sicht in seine Wohnung haben. Und dies dürften doch so einige sein. Bei neuen Bekanntschaften im Quartier, kam dieses Thema quasi zufällig als 'Orientierungspunkt' zur Sprache. So in dem Sinne 'ah, du kennst Naked Man auch, ich wohne rechts, links, vor, hinter ihm!' Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht unglücklich darüber bin, dass zwischen unseren Wohnungen ein relativ grosser Abstand besteht. Ein Freund von mir wohnt wesentlich näher. Und die Aussicht von seinem Balkon kann manchmal vielleicht etwas zu konkret sein. Aber wir freuen uns über die Diversität. Sei es nun in oder ausserhalb unserer Vierwände.
Übrigens, falls ihr Euch jetzt fragt ob ich Naked Man auf der Strasse erkennen würde. Nein, ich habe ihn noch nie angezogen gesehen und ihn in all den Jahren auch nie auf der Strasse wiedererkannt. Und das darf auch gerne die nächsten Jahre noch so bleiben.
Herzliche FKK-Grüsse
Eure Madame Alltag
Zürich, geschrieben im Januar 2023